Was brauche ich wirklich?

Mai 8, 2024 | Allgemeines

Ich stelle mir diese Frage seit vielen, vielen Jahren. Einerseits, weil ich bis zu meinem 31. Lebensjahr nicht wusste, dass ich autistisch bin und ADHS habe, und ständig kollidiert bin mit Anforderungen, die ich einfach nicht erfüllen konnte und die mich von einer Krise zur nächsten manövriert haben. Weil mich vieles, was für andere selbstverständlich war, maßlos überfordert hat. Weil ich immer wissen wollte, was ich tun kann, damit sich das ändert.

Seit meinen Diagnosen stelle ich mir diese Frage wohl noch häufiger: Was brauche ich wirklich? Ich habe den ständigen Kampf gegen mich selbst aufgegeben und versuche seither, mit einem ganz neuen Verständnis für mich selbst mein Leben wirklich an meinen Bedürfnissen auszurichten. Was so viel leichter klingt als es ist. Schließlich lerne ich mich gerade erst völlig neu kennen. Auch habe ich nicht auf alles Einfluss. Aber ich versuche, mich auf die Dinge zu konzentrieren, die ich verändern kann.

Noch immer kämpfe ich mit den Folgen, die die jahrezehntelang fehlende Diagnose bei mir hinterlassen hat: Erschöpfung, körperliche Beschwerden wie starke Verspannungen und chronische Schmerzen. Auch belastende Erinnerungen und eine überaktiviertes Nervensystem, das schnell in einen Überlebensmodus gerät und überempfindlich auf äußere Reize reagiert, sind ein Thema für mich. Ein Thema, dass mich oft schon tagelang, manchmal auch wochenlang an mein Bett gefesselt und handlungsunfähig gemacht hat.

Ich möchte das aber nicht einfach hinnehmen. Ich weiß, dass in mir vieles steckt. Und ich wünsche mir, dass ich es schaffe, einen Lebensstil zu entwickeln, der es mir ermöglicht, gut im Alltag zurechtzukommen und in dem auch meine Stärken und Talente dauerhaft Ausdruck finden können.
Oder anders ausgedrückt: ich will nichts anderes, als mein Leben zurückzuerobern.

Doch wie stelle ich das an?

Ein gutes und funktionierendes Leben kommt nicht allein – vor allem nicht nach späten Diagnosen, Krisen, Schicksalsschlägen oder dergleichen. In diesem Video erzähle ich davon, welche Erkenntnisse ich in den letzten Jahren auf die Frage gefunden habe, was ich denn wirklich in meinem Leben brauche.

Für alle, die mich noch nicht kennen: Ich heiße Magdalena und bin mit 30 Jahren mit Autismus und ADHS (= abgekürzt AuDHS) diagnostiziert worden. Was nicht bedeutet, dass sich beides erst so spät entwickelt hat, sondern dass ich so geboren bin und schon mein Leben lang unerkannt neurodivergent war. Unzählige Identitätskrisen & Schwierigkeiten inklusive.

Seit meiner Diagnose versuche ich radikal, herauszufinden, wer ich bin und was ich wirklich brauche, um das Leben zu führen, das wirklich zu mir passt. Definitiv kein leichtes Unterfangen, wenn man jahrzehntelange Übung darin hat, sich selbst zu verleugnen. Aber langsam, Schrittchen für Schrittchen komme ich dennoch voran.

In diesem Video teile ich 3 meiner wichtigsten Erkenntnisse: Dinge, von denen sich immer wieder herausgestellt hat, dass sie mir dabei helfen, langfristig gut zurechtzukommen und mehr Zufriedenheit und Selbstvertrauen zu entwickeln.

1. Struktur

Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass Strukturen in meinem Alltag das sind, was mir Orientierung und Sicherheit gibt. Mit liefs glatt, und ohne – ganz und gar nicht. Weil ich dann ohne Sinn und Verstand ziellos durch den Alltag irre und mich, um ehrlich zu sein, sehr schnell in irgendwas verliere, was eigentlich gar keine Relevanz für mich hat.

Sich wiederholende Alltagsroutinen ordnen bestimmte Zeiträume spezifischen Aufgaben, Orten und Verantwortungsbereichen zu. Dadurch weiß ich, was ich wann und wo zu tun habe. Oder auch, wann ich Freizeit und keine Kinderverantwortung habe. Diese Pläne helfen mir dabei, bewusster mit meiner Zeit umzugehen. Und sie nehmen mir auch Entscheidungen ab, die ich dadurch nicht täglich immer wieder neu treffen muss. Wann es Essen gibt, zum Beispiel. Oder auch wann aufgeräumt und geputzt wird.

Solche Pläne mögen auf den ersten Blick vielleicht erschlagend aussehen: Aber: Jeder von uns hat Routinen. Dinge, die man täglich automatisch macht. Das hier sind tatsächlich einfach die Strukturen, die sich für mich und auch für uns als Familie bewährt haben. Vieles, was auf diesen Ablaufplänen steht, mache ich ohnehin schon intuitiv. Zum Beispiel meine Morgenroutine: zu einer bestimmten Zeit aufstehen, ins Bad gehen, Zähneputzen, mein Gesicht mit kaltem Wasser waschen, mich schminken, anziehen, meine Kinder für den Tag fertigmachen, Frühstücken usw. Dennoch hilft es mir sehr, solche Dinge sichtbar zu haben. Mit einem Blick sehe ich dann, wo ich im Tagesverlauf bin.

Außerdem behalte ich so den Überblick darüber, was ich mir wofür vorgenommen habe, zB. was meine Arbeitszeit angeht. Ich probiere aktuell z.B. gerade aus, in einem bestimmten zeitlichen Rhythymus zu Arbeiten und Pause zu machen. Also konkret: 30 Minuten zu arbeiten und 10 Minuten Pause zu machen. Einfach, weil ich häufig komplett vergesse, Pausen zu machen und mich sonst nach einem Arbeitstag oft komplett gerädert fühle. Ob sich das auf Dauer durchsetzt? Wir werden sehen!
Man sollte aber auch nicht übertreiben mit solchen Plänen.

Hilfestellung für einen strukturierten Alltag

Wenn ihr selbst einen Plan aufstellen wollt, dann würde ich euch empfehlen, erstmal das aufzuschreiben, was ihr ohnehin schon macht. Und dann könnt ihr überlegen: Was davon brauche ich wirklich? Was möchte ich auf Dauer außerdem in meinen Alltag oder in meine Woche integrieren? Welche von diesen Dingen möchte ich als erstes integrieren?
Gibt es Dinge die ich täglich mache, die mir aber eigentlich gar nicht gut langfristig tun? Wie kann ich darauf verzichten oder die Zeit, die ich dafür verwende, runterschrauben?

Und dann nach und nach versuchen, mehr Dinge zu implementieren. Nicht alles auf einmal, sonst überfordert man sich nur. Bei mir ist das ein Prozess, der schon seit vielen Jahren andauert und der auch immer wieder an den sich ja auch manchmal verändernden Alltag und an die aktuellen Bedürfnisse angepasst werden muss. Nur halt nicht irgendwie, unterbewusst, sondern schriftlich und dadurch irgendwie halt auch wirklich deutlich sichtbar und anpassbar.

Ich selbst halte definitiv nicht immer alles auf meinem Plan ein, was in Ordnung ist. Was zählt ist das große Ganze. Die richtige Richtung.

Selbstfürsorge

Ich möchte nochmal konkreter auf einen Punkt eingehen, der für das, was ich eben geschrieben habe, fundamental ist: Selbstfürsorge.
Es geht darum, eigene Bedürfnisse zu erkennen und rechtzeitig Verantwortung dafür zu übernehmen, dass diese auch erfüllt werden. Das bedeutet nicht, dass man in einen Hedonismus verfällt und nur noch Dinge tut, auf die man direkt Bock hat, sondern dass man sich verantwortungsvoll um sich kümmert, damit es einem vor allem auf lange Sicht gut geht.

Selbstfürsorge ist nicht nur schön, sondern kann sich im ersten Moment manchmal auch ziemlich uncool anfühlen. Arzttermine wahrnehmen, Steuererklärung machen, sich regelmäßig bewegen, sich nicht nur von Süßigkeiten ernähren, anderen Menschen gegenüber Grenzen setzen z.B.

Noch uncooler ists allerdings, solche Dinge nicht zu tun oder sie auf die lange Bank zu schieben. Nicht nur, weil sowas für permanenten Dauerstress sorgen kann, der die ganze Zeit im Hintergrund rattert und wertvolle Energie raubt, sondern auch, weil sowas auch echt negative Folgen für uns haben kann. Die dann wiederum zur Folge haben, dass wir enttäuscht und wütend auf uns selbst sind. Muss nicht sein.

Ich habe es im vorigen Punkt schon mal angeschnitten, hier trotzdem nochmal ganz konkret: Selbstfürsorge bedeutet u.a. auch, Bullshitverhalten zu erkennen und zu stoppen. Vor allem erstmal uns selbst gegenüber. Denn, wenn wir mal ehrlich sind: Wie oft tun wir Dinge, von denen wir eigentlich ganz genau wissen, dass sie uns auf Dauer nicht in dem Ausmaß oder möglicherweise auch gar nicht guttun? Wer z.B. regelmäßig 5, 8 oder 10 Stunden Medienzeit auf dem Buckel hat, und sich zugleich wundert, warum er/sie/* sonst nichts gebacken bekommt, verarscht sich irgendwo selbst. Vor allem, wenn man selbst genau weiß, dass man eigentlich ganz andere Prioritäten und Vorstellungen hat.

Hier eine kleine Anleitung von meiner Therapeutin höchstpersönlich, für alle, die Bullshitverhalten stoppen möchten:

  • Entscheide dich für eine konkrete Sache, die du verändern willst. Wir nehmen mal als Beispiel, dass ich nicht mehr so viel Zeit vorm Handy verbringen möchte. Ist ein Reallife Beispiel von mir, übrigens.
  • Entscheide dich für eine andere konkrete Tätigkeit, die du stattdessen machen willst. Mal in Ruhe ein Buch lesen, Tagebuch schreiben oder ganz bewusst Musik hören zum Beispiel.
  • Triff eine klare und zeitlich konkrete Verabredung mit dir selbst und mach es dir einfach, diese Verabredung auch einzuhalten, indem du nicht zu viel von dir erwartest.

Zum Beispiel könnte die Verabredung so aussehen: Ich werde am Montagabend eine Stunde lang mein Handy weglegen und stattdessen 30 Minuten Tagebuch schreiben und ein 30 Minuten lang ein Buch lesen. Am besten, man schreibt es sich wirklich so in einem Satz auf.


So hab ichs gemacht. Und ehrlich gesagt hat es super funktioniert. Die Zeit hat mir gut getan und ich war hinterher stolz auf mich.
Und wenn wir erstmal wieder dazu gekommen sind, mal wieder zu erleben, dass auch andere Dinge Spaß machen können, die sich sogar auch noch „richtig“ anfühlen, wirds beim nächsten Mal auch garantiert noch einfacher sein, wieder das Handy beiseite zu legen und etwas anderes stattdessen zu tun. Versprech ich euch.

3. Connection

Um zu erkennen, was einem guttut und was nicht, hilft es, sich regelmäßig mit sich selbst zu beschäftigen. Dafür ist es hilfreich zu wissen, dass wir auf verschiedenen Ebenen anfangen können, uns wieder näher zu kommen, um ein aktuelles Verständnis von uns zu gewinnen. Mit verschiedenen Ebenen meine ich hier ganz konkret den Körper, die Gedanken, die Emotionen, und das Gefühl der Zugehörigkeit und Sinnhaftigkeit.

Hierfür finde ich folgende Fragen hilfreich:

    Wie geht es meinem Körper? Fühle ich mich müde oder wach? Angespannt oder entspannt?Wann habe ich das letzte Mal ausgeschlafen? Was würde mir gerade guttun?

    Was denke ich über mich? Wie denke ich über meine Umwelt? Welche Themen beschäftigen mich zurzeit? Fällt es mir gerade leicht oder schwer, mich zu konzentrieren?

    Wie geht es mir psychisch? Wie fühle ich mich emotional? Bin ich zufrieden damit, wie mein Leben aktuell verläuft? Habe ich das Gefühl, derzeit gut zurechtzukommen, oder bräuchte ich eigentlich gerade Unterstützung von außen?

    Wo fühle ich mich wohl und zugehörig? Mit wem fühle ich mich verbunden und mit wem eher nicht? Habe ich das Gefühl, dass mein Leben einen Sinn hat, und wenn nicht, was kann ich tun, damit sich mein Leben sinnvoll anfühlt?

    All das sind Fragen, die man sich stellen kann, wenn man ein aktuelles Verständnis von sich selbst gewinnen und die eigenen Bedürfnisse wieder klarer erkennen will.

    Ihr wisst nun also, wie ihr vorgehen könnt, wenn ihr euer Leben wieder selbst in die Hand nehmen wollt, oder wie ichs anfangs formuliert hatte, wie ihr euch euer Leben zurückerobern könnt. Ich hoffe meine Tipps sind hilfreich für euch und wünsche uns allen, dass wir eines Tages alle das Leben leben können, von dem wir spüren, dass es wirklich zu uns passt.

    Ich bin dem Ganzen mithilfe dieser 3 Dinge auf jeden Fall schon einen Schritt näher gekommen.

    Ehhh Magdalena

    Ehhh Magdalena

    Bloggerin / Content Creator

    Hi, ich bin Magdalena. Ich bin Blogautorin und setze mich hier auf meinem Blog sowie auf YouTube und Instagram mit dem Thema Neurodiversität (insbesondere Autismus und ADHS) auseinander. Ihr bekommt von mir Einblicke in mein Leben als spät diagnostizierte AuDHSlerin und Mutter eines autistischen und eines neurotypischen Kindes. Außerdem gebe Tipps, die sich für mich bewährt haben. Auch Kenntnisse aus meinen Ausbildungen (insbesondere Coaching und Hypnose) fließen in meine Inhalte mit ein.

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