Manche Autist*innen haben Nobelpreise gewonnen, scheitern aber daran sich die Schnürsenkel zu binden oder ihre Hemden zuzuknöpfen. Für mich sind es andere Dinge. Ich habe zum Beispiel kein Problem damit, mich wochenlang in Themen zu vertiefen und kreative Projekte auszuarbeiten. Aber soziale Erwartungen an mich, Selbstverständlichkeiten, die die Care-Arbeit betreffen, die kann ich oft nicht erfüllen. Spielplätze besuchen ging die letzten Jahre fast gar nicht. Und seit Neuestem weiß ich: Ich schaffe es gerade nicht, meine Kids täglich zum Kindergarten bzw. zur Schule zu bringen und wieder abzuholen.
Es fühlt sich komisch an, das so zu schreiben. Und obwohl ich weiß, dass ich mich nicht mit neurotypischen Menschen vergleichen sollte, tue ichs irgendwo trotzdem. 30 Jahre meines Lebens waren die „normalen“ Anderen halt der Standard. Und auch wenn ich seit über 1,5 Jahren diagnostiziert bin, bekomme ich dieses Denken so schnell nicht aus mir raus.
Ich kann selbst nicht genau sagen, worin die Schwierigkeit beim Bringen und Abholen der Kinder besteht. Denn rein körperlich bin ich da schon in der Lage zu. Es sind aber andere Dinge, unsichtbare Barrieren, die für mich sehr wohl vorhanden und eben behindernd sind: Die vielen schnellen Übergänge und Ortswechsel, mit denen ich mich schon immer schwer getan habe. Die viele nötige, energiefressende (und bei mir auch oft fehlerbehaftete) Interaktion mit anderen Menschen. Dabei noch die eigenen Kinder begleiten müssen. Zumal in den 2 Stunden, bevor das alles losgeht, schon so viel anderes geleistet und ausgehalten werden muss.
Was ich sicher weiß ist, dass mir das alles sehr viel Energie raubt. Dass ich täglich mit mir ringen und darum hoffen und bangen muss, dass es irgendwie klappt. Und dass ich bis vor Kurzem noch dachte, das unbedingt, um jeden Preis tagtäglich leisten zu müssen.
Manchmal erkennt man erst spät, wo es im System hakt. Manchmal dauert es Jahre, um sich einzugestehen, dass man gewisse Sachen im Alltag nicht schafft. Das ist schwer. Und das anderen gegenüber auszusprechen und für sich einzustehen, „zuzugeben“, dass man diese für andere Menschen völlig selbstverständliche Sache nicht packt, erst recht. „Welche Mutter schafft sowas nicht?!“, höre ich eine empörte Stimme in mir rufen.
Ich.
Jeder Person, die sich das zu sagen traut, wünsche ich, dass er oder sie auf Verständnis trifft, und sich nicht auch noch rechtfertigen muss. Dass solche Dinge gesehen und ernst genommen werden.
Glaubt mir, wir suchen uns das nicht aus. Warum zur Hölle sollten wir?
Wir haben in unserer Familie Lösungen gefunden. Es brauchte mehrere Veränderungen, was die Aufgabenverteilung angeht. Wir haben nochmal überlegt und bestimmte Verantwortungsbereiche umverteilt. Jeder tut das, was er oder sie am besten kann. Niemand sollte täglich so mit sich ringen müssen. Solange man für sich ein System hat, das nachhaltig funktioniert und in dem niemand auf Dauer kaputtgehen muss, ist es gut. Auch wenn es von gesellschaftlichen Erwartungen und vom allgemeinen „Mutterbild“ abweicht. Ich habe keine Lust und Energie mehr, an den Erwartungen anderer zugrunde zu gehen.
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