Kurzer Disclaimer vorab: Eigentlich wollte ich euch im Anschluss an mein vorhergehendes Video daran teilhaben lassen, wie ich mich mal wieder auf eigene Faust aus meinem aktuellen Burnout herausarbeite. Im Laufe dieses Prozesses bin ich jedoch auf ein Erklärungsmodell bzw. eine Methode zum Thema „Erholung“ im Zusammenhang mit Burnouts gestoßen, das ich so überraschend, klug und sinnvoll fand, dass ich alles Planmäßige habe stehen und liegen lassen, und mich intensiv damit auseinandergesetzt habe.
Und um ehrlich zu sein, habe ich mich nicht nur damit auseinandergesetzt, sondern mir „erlaubt“, es spezifisch auf Burnouts im Zusammenhang mit Autismus und ADHS weiterzuentwickeln. Dieses Erklärungsmodell soll Thema des heutigen Videos und auch der nachfolgenden Videos sein. Denn: Es ist relativ umfangreich und lässt sich nicht mal eben in einem einzigen Video abhandeln. Ich werde also eine Art YouTube-Serie zum Thema neurodivergente Burnouts darauf aufbauen.
In diesem ersten Video hier geht es erstmal darum, eine kleine Einführung in das Thema „neurodivergente Burnouts“ und in die Theorie sowie in die Methode zu bekommen.
Ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr euch alle Videos in voller Länge der Reihe nach anguckt, oder auch nur die spezifischen Themen oder Kapitel, die euch interessieren. Dieses Video würde ich für den Einstieg aber in jedem Fall empfehlen, weil hier einmal alles Grundlegende erklärt wird.
Damit ihr das Gesagte auch nach dem Anschauen der Videos nicht so leicht wieder vergesst, werde ich es zusätzlich in Textform auf meinem Blog hochladen. Außerdem werde euch im Laufe der Reihe Worksheets und Entspannungsübungen zur Verfügung stellen, die ihr euch hier angucken oder kostenlos herunterladen könnt.
Disclaimer Ende.
Einführung
Wenn du schon einmal ein neurodivergentes Burnout erlebt hast, dann weißt du wahrscheinlich, wie schwierig es ist, da wieder herauszukommen. Isolation und sehr viel Schlaf sind zwar bei vielen neurodivergenten Menschen intuitiv die ersten Schritte, um sich fürs Erste Ruhe und Erholung zu verschaffen. Und sie sind definitiv auch sinnvoll. Aber es kann sein, dass man sich trotz des Rückzuges und vieler Stunden zusätzlichen Schlafes weiterhin sehr erschöpft fühlt. Weil man wirkliche Erholung leider nicht – und da kommen wir auch zum springenden Punkt – einfach immer nur mit Schlaf und Ruhe gleichsetzen kann. Dazu aber später mehr.
Bevor wir richtig ins Thema einsteigen, kurz noch ein bisschen was zu mir:
Ich heiße Magdalena, bin 32 Jahre alt und ich bin spät diagnostizierte Autistin und ADHSlerin. Ich lebe mit meinem neurotypischen Partner zusammen und wir haben zwei Kinder (von denen eines ebenfalls autistisch ist). Online veröffentliche ich Texte und Videos zu den Themen Autismus und ADHS. Einerseits weil mich diese Themen seit meiner Diagnose interessieren und mir helfen mich besser zu verstehen. Andererseits auch, weil ich den Austausch mit anderen neurodivergenten Menschen aber auch Außenstehenden wahnsinnig wertvoll und wichtig finde. Bevor ich hier aber noch mehr abschweife, zurück zum Thema.
Was sind neurodivergente Burnouts?
Burnouts entstehen kurz gesagt prinzipiell dann, wenn man mehr leistet, als man Energie zur Verfügung hat, also in ein starkes Energiedefizit geht. Und auch wenn sich Expert*innen längst darüber einig sind, dass Burnouts nicht zwangsläufig etwas mit Lohnarbeit zu tun haben müssen, hält sich der Mythos hartnäckig und wird leider auch immer noch in den offiziellen Diagnosekatalogen daran festgemacht. Obwohl man mittlerweile längst weiß, dass beispielsweise auch Carearbeit, finanzielle Belastungen, Doppelbelastungen in Familie und Beruf, fehlende Unterstützung, chronische Erkrankungen oder eben auch Neurodivergenzen zu Burnouts führen können.
Warum neurodivergente Menschen ein höheres Risiko für Burnouts haben
Vielleicht nochmal kurz grundsätzlich, für alle, die es nicht wissen: Als neurodivergenter Mensch ist man aufgrund verschiedener, das Gehirn betreffender Besonderheiten leider sehr viel empfänglicher für Burnouts als es neurotypische Menschen sind. Das hat verschiedene Gründe, hier mal ein ganz zentraler: Wir nehmen Reize verstärkt war, sowohl in ihrer Menge als auch in ihrer Intensität. Das kann in unserer oft schnelllebigen Welt sehr überfordernd sein. Deshalb sind wir permanent damit beschäftigt, Umweltreize bewusst zu kompensieren (=ausblenden, ausgleichen), was uns permanent viel Energie abverlangt.
Auch das Maskieren (= also das Verstecken unserer Eigenarten, um keine Ablehnung und Ausgrenzung zu erfahren) zieht enorm viel Energie, die uns an anderer Stelle dann fehlt. Dementsprechend haben wir häufig ein sehr viel höheres Erholungsbedürfnis. Wenn wir dem nicht oder nur unzureichend nachgehen (können), dann laufen wir Gefahr in ein Burnout zu geraten.
Wie sich neurodivergente Burnouts äußern können
Neurodivergente Burnouts können sich auf viele verschiedene Weisen äußern. Zentral ist aber die extreme Erschöpfung, die sich bspw. in einer nicht aufhörenden Reizüberflutung und Reizempfindlichkeit und einem sehr hohen Ruhebedürfnis bemerkbar macht. Ich glaube man kann vereinfacht sagen, dass sich die Eigenschaften, die auch für unsere Diagnosen ausschlaggeben waren, verstärken. Beispielsweise dass sich beim Thema Autismus große Schwierigkeiten einstellen, was die soziale Interaktion und Kommunikation angeht, dass ein großes Bedürfnis nach Rückzug und Vorhersehbarkeit besteht und dass man verstärkt an Routinen festhält. Beim Thema ADHS können sich Burnouts in mangelnder Impulskontrolle, einer hohen Emotionalität, sehr starken Konzentrationsschwierigkeit und vielem mehr ankündigen.
Das Maskieren fällt allgemein zunehmend schwerer oder funktioniert teilweise auch gar nicht mehr. Es kann schwer bis unmöglich sein, die eigenen Grenzen zu wahren. Und das alles kann sich leider auch sehr negativ auf bestehende Strukturen, wie die Lohnarbeit oder auf Beziehungen auswirken, die – nicht selten – daran zerbrechen können. Was ja ziemlich große Opfer sind. Auch der eigene Selbstwert und das Selbstvertrauen können dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Das alles kann sehr an die Substanz gehen. Und da wieder rauszukommen, das kann wahnsinnig schwer und langwierig sein.
Allgemein kann man glaube ich festhalten, dass neurodivergente Burnouts ne ziemlich fiese Angelegenheit sind und dass es sich lohnt, diese um jeden Preis zu vermeiden. Dabei haben wir, je nachdem wie wir privilegientechnisch so aufgestellt sind, natürlich nicht ALLES in unserer Hand. Aber, wenn wir wissen, auf welche Erschöpfungsanzeichen wir achten können und wie wir uns ganz spezifisch, auf unterschiedlichen Ebenen auf die wir gleich kommen werde – erholen können, dann können wir glaube schon, dass wir auch viel selbst bewirken können. Sowohl in akuten Burnouts, als auch präventiv. Und wie das gehen kann, das schauen wir uns jetzt einmal genauer an.
Das Modell
Laut dem Erklärungsmodell, auf das ich vor Kurzem gestoßen bin und sich „7 types of rest“ nennt, wird zwischen insgesamt sieben (!) verschiedenen Erholungskategorien unterschieden, die in Phasen von Burnouts oder großen Erschöpfungszuständen besonders relevant sein sollen. Diese leiten sich von ebenfalls sieben Kategorien ab, auf denen ein Mensch kräftemäßig ausbrennen kann.
Ich werde in der nächsten Zeit alle in einzelnen Videos (und auch hier auf meinem Blog) vorstellen, möchte sie hier aber schon mal kurz mit ein paar Stichworten vorstellen, damit ihr einen ungefähren Überblick bekommt, worum es geht.
In dem Modell wird unterschieden zwischen:
Physischer Erschöpfung und Erholung. Das bedeutet: Wenn unsere Kräfte auf körperlicher Ebene völlig aufgebraucht sind, sodass wir das Bett oder das Sofa nicht verlassen können, über einen längeren Zeitraum.
Dann gibt es die Kategorie mentale Erschöpfung und Erholung. Die sich durch große innere Unruhe, belastende Gedanken, Overthinking oder die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen, zeigt.
Dann gibt es die Kategorie der sensorischen Erschöpfung und Erholung. Das bedeutet, die Sinne sind betroffen, überreizt und wir leiden darunter, dass wir permanent Reizüberflutungszustände haben oder eben sehr, sehr sensibel auf unterschiedliche Reize reagieren. Und zwar so sensibel, dass es das Wohlbefinden im Alltag massiv einschränkt.
Dann gibt es die Kategorie der kreativen Erschöpfung und Erholung, die sich in Kreativitätsblockaden äußert.
Außerdem gibt es die emotionale Erschöpfung und Erholung. Die zeigt sich dadurch, dass wir unsere Gefühle nicht mehr gut regulieren können und auch eine mangelnde Impulskontrolle haben.
Dann gibts die soziale Erschöpfung und Erholung, wobei sich die Erschöpfung hier durch einen starken Drang nach Rückzug und Beziehungskonflikte äußern kann.
und es gibt die spirituelle Erschöpfung und Erholung, wo es um die Frage geht, ob wir unser Leben, und das was wir tun, als bedeutungsvoll und sinnvoll empfinden.
Je nach Situation ist manchmal nur ein Lebensbereich von einem Burnout betroffen. Von einem sensorischen Burnout können wir zum Beispiel dann sprechen, wenn wir in einer Spirale permanenter Reizüberflutung gefangen sind, in der uns jeder neue Reiz komplett überfordert und aus der Bahn bringt. Oft treten Burnouts aus verschiedenen Kategorien jedoch auch gleichzeitig auf, dann kommen also beispielsweise auch noch parallel ein soziales, mentales und emotionales Burnout hinzu. Und wenn’s richtig schlimm kommt, dann brennt man auf all diesen Ebenen gleichzeitig aus.
Das Modell besagt, dass jedes Burnout bzw. jeder Erschöpfungszustand abhängig von seiner Kategorie seine eigene Herangehensweise braucht, um aufgelöst zu werden. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich sensorisch so erschöpft bin, dass ich unter ständiger Reizüberflutung leide, dann brauche ich möglicherweise ganz andere Dinge, um mich zu erholen, als wenn ich mich auf spiritueller Ebene ausgebrannt fühle.
Ziel der Methode ist also das Identifizieren und Auflösen eines akuten Burnouts. Das darüber hinausgehende Ziel geht aber noch weiter. Es geht darum, sich einen nachhaltigen Lebensstil anzueignen, in dem man nicht mehr Gefahr laufen muss, immer wieder in Kraftdefizite und Burnouts zu geraten. Und das versucht man folgendermaßen umzusetzen, indem man nämlich bestimmte Tätigkeiten oder Verhaltensweisen, von denen man in der akuten Burnoutphase merkt, dass sie einem wirklich helfen, dauerhaft in seinen Alltag integriert und sich gezielt und regelmäßig Zeit dafür nimmt.
Warum ich das Modell und die Methode so sinnvoll finde
Ich finde das Modell aus mehreren Gründen unglaublich wertvoll. Zunächst einmal, weil es nochmal deutlich macht, dass es eben auch in ganz anderen Lebensbereichen als in der Lohnarbeit möglich ist, auszubrennen. Es ist ja auch leider immer noch ein weit verbreiteter Mythos, dass Burnouts nur im Zusammenhang mit Arbeit entstehen können. Das Überleben von neurodivergenten Menschen in einer nicht auf sie ausgerichteten Welt könnte meiner Meinung nach jedoch ebenso als „Arbeit“ betrachtet werden. Mit dem Unterschied, dass wir dafür nicht bezahlt werden, und dass diese große Energieaufwand nicht wertgeschätzt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt wird.
Die Unterscheidung der verschiedenen Kategorien und Herangehensweisen ist für mich persönlich das wirklich Innovative und Wichtige an diesem Modell. Weil es eben dieses große, tiefe, chaotische, dunkle Loch, als das ich meine Burnouts immer wahrgenommen habe, strukturiert, in dem es die Dinge in kleinere Bereiche unterteilt, Ordnung herstellt und einfach Licht ins Dunkel bringt. Zudem liefert die Methode auch noch das nötige Handwerkszeug, die einem dabei helfen sollen, effektiv und schnell wieder aus dem Burnout herauszukommen. Nämlich bewährte Handlungsempfehlungen. Viele verschiedene für jeden einzelnen Bereich. Was auch der von mir häufig empfunden Hilflosigkeit entgegenwirkt. Und dem „Experimentier-Struggle“, nicht zu wissen was man denn bitteschön tun soll, ebenso.
Ich habe die Methode und verschiedene Erholungsempfehlungen in den vergangenen Wochen schon ein wenig austesten können. Und hatte schon das Gefühl, dass ich schneller und genauer identifizieren konnte, was mich gerade belastet und schneller wusste, was zu tun ist. Die Methode ist aber wie gesagt noch nicht zu 100% praxiserprobt.
Ich habe sie zwar an neurodivergente Bedürfnisse angepasst und Empfehlungen, die sich schon bewährt haben, darin aufgenommen. Aber ich habe auch Dinge aufgenommen, von denen ich bemerkt habe, dass sie mir helfen, ebenso Empfehlungen von anderen neurodivergenten Menschen und zusätzlich noch Dinge eingebaut, die ich in meinen 1 Mio Entspannungsausbildungen (Hypnose, Yoga, Meditation, Coaching) gelernt habe.
Euer Feedback zählt – macht mit!
Ob die Methode in der Realität also tatsächlich auch für euch funktioniert (und ob auch ich selbst es damit schaffe, endgültig aus meinem bereits Monate andauernden Burnout herauszukommen), das können wir im Laufe der nächsten Zeit gemeinsam herausfinden. Wenn ihr Lust habt. Über euer Feedback wäre ich euch daher auch dankbar. Schreibt mir gerne, sobald die nachfolgenden Videos erschienen sind und ihr die Methode, die Tipps und Übungen ausprobiert habt, was für euch funktioniert und was nicht. Ebenso, wenn euch noch weitere, wichtige Dinge einfallen, die ich selbst noch gar nicht auf dem Schirm hatte. Und auch, ob ihr das Grundsystem ebenso sinnvoll findet wie ich, oder nicht.
Dafür wäre ich euch wirklich enorm dankbar, denn je mehr Leute mitmachen, umso besser kann es weiterentwickelt werden und umso größer ist die Chance, dass es tatsächlich gut funktioniert. Und wir irgendwann hoffentlich nicht mehr so häufig über dieses Thema sprechen müssen.
Alles, worüber ich in diesem Video gesprochen habe, findet ihr nochmal zum Nachlesen auf meinem Blog. Außerdem könnt ihr euch dieses Worksheet bei Google Drive herunterladen, damit ihr schon mal alle relevanten Kategorien auf einen Blick habt, um die es hier nach und nach gehen wird.

Im nächsten Video (& Text) werden wir gemeinsam in erste der sieben Kategorien einsteigen. Beginnen tun wir mit dem Thema „physische Erschöpfung und Erholung“.
Ich freu mich, wenn ihr wieder dabei seid. Bis dahin – machts gut!
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