AuDHS Burnouts – Von Fallstricken und Rettungsschirmen

Okt. 29, 2023 | Autistisches Burnout

Wer neurodivergent gestrickt ist, läuft Gefahr, unter alltäglichen Anforderungen in Burnouts zu geraten. So mitunter, wenn man (wie ich) autistisch ist und/oder ADHS hat. Die moderne Gesellschaft scheint einfach nicht gemacht zu sein für unsere andersgestrickten Gehirne. Und so verbringen wir ein Vielfaches unserer Zeit damit, Unzulänglichkeiten zu kompensieren und unser aufgebrachtes Nervensystem mit allen erdenklichen Methoden zu beruhigen. Um einfach möglichst schnell wieder klarzukommen.

Nehmen die Herausforderungen jedoch Überhand, und bleiben die Entspannungsmöglichkeiten durch einen Mangel an Zeit, Rückzugsoptionen und andere Ressourcen aus, wirds schnell brenzlig. Es droht das Burnout. Die Rechnung ist ja auch eigentlich ziemlich logisch: Gibst du mehr Energie aus, als du zur Verfügung hast, dann ist da irgendwann nichts mehr. Die Anforderungen aber bleiben. Und du brennst aus, sodass gar nichts mehr geht.

Die Beschaffenheit von neurodivergenten Burnouts

Ich bin schon so viele Male in autistische bzw. neurodivergente Burnouts hineingeraten, dass ich gar nicht mehr sagen kann, wie viele es in Summe waren. Es fing schon in meiner Schulzeit an. Und hörte leider selbst nach meiner Diagnose nicht auf. Vor meiner Diagnose habe ich diese Phasen immer als „Krisen“ bezeichnet. Ich verstand nicht, warum ich die scheinbar „einfachsten Dinge“ nicht gebacken bekam. Warum mir vieles so an die Substanz geht. Warum ich ständig alle möglichen Verabredungen absagen und mich auf Parties in Toiletten einschließen und mich überhaupt andauernd zurückziehen muss, um irgendwie wieder klarzukommen.

Wie sich so ein Burnout anfühlt? Pure Kraftlosigkeit. Nicht nur mental – auch körperlich. Die Erdanziehungskraft ist so spürbar wie nichts anderes. Tage- oder wochenlang nur auf dem Sofa oder im Bett liegen zu können, sind keine Seltenheit. Kommunikation außerhalb der Komfortzone ist unendlich anstrengend und schnell auch problembehaftet. Arbeit und sich gut um die eigenen Kinder kümmern können? Fehlanzeige. Nur Überlebensmodus auf Sparflamme.

Ach, ich stell mich also gar nicht permanent zu blöd an?

Nach meiner Diagnose wurde das alles sehr viel verständlicher. Die mich stets begleitenden Selbstzweifel, Scham- und Schuldgefühle wichen der Ahnung, meine Schwierigkeiten und Besonderheiten endlich logisch einordnen und mir selbst auf völlig neue Weise begegnen zu können. Dennoch hörten die Burnouts leider nicht plötzlich einfach auf. Doch ich konnte zum ersten Mal nachvollziehen, warum sie auftraten und was ich an meinem Leben ändern müsste, um nicht mehr so leicht hineinzugeraten. Meine Therapeutin gab mir den Rat, darauf zu achten, was mir Energie gibt und was mir Energie raubt. „Energieräuber verbannen“ lautete die Devise. Und das tat ich ziemlich konsequent.

Meine Bedürfnisse sind irgendwo in mir vergraben. Und absolut nicht unwichtig.

Nicht ohne zu bemerken, dass es sich schon ganz schön crazy anfühlt, sich selbst so in den Mittelpunkt zu rücken, wo man seine eigenen, authentischen Bedürfnisse doch ein Leben lang unterdrücken musste. Zu unpassend, zu unbequem. Ein ständiger Kampf gegen sich selbst, der zunächst extern mit Personen aus dem vorwiegend unmittelbaren Umfeld ausgetragen wurde und später größternteils internalisiert weitergelaufen ist. Dieser hat zur Folge, dass man früher oder später verlernt, seine wahrhaftigen Bedürfnisse wahrzunehmen, geschweige denn sich diese überhaupt zugestehen zu können.

Die Angst davor, ausgegrenzt zu werden. Oder: Wenn es sich gefährlich anfühlt, man selbst zu sein.

Die Angst, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und ausgegrenzt zu werden, sitzt tief. Und ebenso das Trauma, dass dieses alternativlose Verhalten in uns hinterlassen hat, weil das „einfach man selbst sein“ stets als existentiell gefährlich empfunden wurde. Viele neurodivergente Kinder erleben Mobbing – sei es im Schulkontext, oder auch im familiären Umfeld. Ich möchte hier nicht in Selbstmitleid verfallen. Dennoch muss gesagt werden, dass es Spuren und Wunden hinterlässt, sich bloß niemals authentisch zeigen zu dürfen. Und dass diese Verletzungen Beachtung finden sollten, damit wir wieder etwas freier und gelöster durchs Leben gehen können und im Zusammentreffen mit anderen Menschen keine existentiell-gefährdenden Ängste mehr empfinden müssen.

Es macht nur Sinn, dass man sein Leben als spätdiagnostizierte Person neu ausrichten möchte. Damit man eben nicht mehr ständig zusammenklappt, immer wieder aufs Neue das Vertrauen in sich selbst verliert und das irgendwie wiederherstellen muss. Weil: Das ist nun mal die Realität vieler spätdiagnostizierter Menschen. Mich wundert es jedenfalls nicht, dass die Suizidraten unter neurodivergenten Personen, die ja leider vielfach solche oder ähnliche Erfahrungen machen mussten und müssen, so überdurchschnittlich hoch sind.

Meine Burnouts NACH meiner Autismus- und ADHS-Diagnose

Nach meiner Diagnose sind die Abstände zwischen meinen Burnouts ehrlich gesagt enorm klein geworden. Und das, obwohl ich ja jetzt einordnen konnte, was los war. Warum das? Nun, das hat unterschiedliche Gründe, die ich hier gerne mal erläutern möchte. Lasst uns am besten chronologisch vorgehen und mit meinem ersten Post-Diagnose-Burnout im November 2022 beginnen.

Mein erstes Burnout nach meiner Diagnose

Hier bin ich ins Burnout hineingerutscht, weil ich nach einem noch nicht komplett auskurierten Burnout, (das bereits im Mai 2022 vor meiner Diagnostik begann) zeitgleich eine Gruppentherapie und ein Studium begonnen habe. Beides hat mir – zusätzlich zur Pflege meiner Kinder – enorm viel abverlangt. Zu viel. Die Gruppentherapie hat sich zwar sehr schnell als wahnsinnig hilfreich herausgestellt. Aber das Studium nicht – trotz toller Kommiliton*innen, einem Traumstudiengang und einem Nachteilsausgleich. Die Gründe waren vielfältig.

Schon der Weg zur Uni war eine Herausforderung. Vom Bahnfahren kam ich in Zustände der Reizüberflutung. Fahrradfahren (24 Kilometer Hin- und Rückweg, zur Hälfte mit kleinem Kind auf dem Rücksitz, das ich morgens bei der Tagesmutter abgab und nachmittags wieder abholte) bekam ich körperlich und sensorisch nur für kurze Zeit hin. Nicht nur, dass die Fahrten anstrengend für mich waren. Angekommen in der Uni fühlte ich mich unwohl in meinen Klamotten. Ich versuchte stets Wechselwäsche dabeizuhaben und mich – sobald angekommen – umzuziehen, aber der logistische Aufwand hat mich schon nach kurzer Zeit wieder überfordert. Hinzu kamen viele Veranstaltungen und Anforderungen, das ganze soziale Miteinander, Gruppenarbeiten und so weiter. Auch die Seminarzeiten waren nicht wirklich familienfreundlich. Ich weiß nicht mehr, was es war. Vielleicht eine Erkältung eines meiner Kinder. Jedenfalls kam recht bald nicht mehr hinterher. Wurde niemandem, auch mir selbst nicht mehr gerecht. Zack, erstes Burnout. „Hello darkness, my old friend…“

Das zweite Burnout

Das zweite Burnout erfolgte dann im Februar 2023. Ich hatte mir mittlerweile ein E-Bike besorgt, mit dem die Strecke zur Tagesmutter und Uni leichter zu schaffen war. Im Januar und Februar erfolgte die Autismus-Diagnostik (und Diagnose) meines damals gerade 6-jährigen Sohnes. Neben zahlreichen Prüfungsleistungen für die Uni hatte ich reihenweise Anträge, Formulare und Termine auf dem Tisch liegen (bzw. im Terminkalender stehen). Einstufung des Pflegegrads, Behindertenausweis, Schulrückstellung, Assistenz für den Kindergarten, Beratungstermine – you name it!

Ich spürte zum ersten Mal, dass einem das Leben als behinderte Person, die ihr Recht auf Inklusion und Teilhabe wahrnehmen möchte, nicht unbedingt leicht gemacht wird. Dass die Beantragung von Hilfen für neurodivergente Menschen bürokratisch und nur unter neurotypischen Bedingungen zugänglich und somit ehrlich gesagt ziemlich ableistisch (=behindertenfeindlich) ist. Was für eine Ironie, oder? Trotzdem wagte ich mich an all diese Hürden. Und nach all den Terminen, Telefonaten und Face-to-Face Gesprächen zuhause oder in irgendwelchen Behörden und Institutionen rutschte ich schließlich – ihr könnt’s euch denken – in’s nächste Burnout. „I’ve come to talk to you again.“

Daraufhin setzte ich mit meinem Studium aus, strich ein paar der Anträge und konzentrierte mich darauf, wieder nachhaltig auf die Beine zu kommen. Und das klappte für einen Zeitraum von sechs vollen, stabilen Monaten tatsächlich sogar ziemlich gut.

Das dritte Burnout

Das dritte Burnout erkannte ich erst sehr spät. Im Oktober 2023, um genau zu sein. Hinter mir lag eine Zeit, die – nach der eben beschriebenen Phase anhaltender Stabilität – mit sehr vielen Veränderungsprozessen verbunden war. Das hing hauptsächlich mit einer Betreuungspause beider Kinder sowie einem Betreuungsortswechsel zusammen (von der Tagesmutter in den Kindergarten für meine Tochter und vom Kindergarten in die Schule für meinen Sohn).

Diese Veränderungen haben sich besonders darin ausgewirkt, dass sich unsere Alltagsstrukturen stark verändert haben, was mich sehr verunsichert hat. Ihr müsst wissen: Eine gleichbleibende Struktur im Alltag ist das, was mir Halt, Orientierung und Sicherheit gibt. Außerdem musste ich wieder über meine Kräfte hinaus abliefern. Wochenlange Kinderbetreuung in unserer kleinen Wohnung trotz vieler sensorischer Überempfindlichkeiten und hohem Ruhebedürfnis, Einschulung, Eingewöhnung, keine Me-Time, keine passende Möglichkeit zur Unterstützung von außen, kaum Möglichkeiten mich zu regenerieren…

Alles anders mit Medi’s

Allerdings nahm ich seit Juni 2023 ADHS-Medikamente. Ich geriet zwar in ein Burnout, merkte aber nichts davon. Ich hatte zwar große Kommunikationsschwierigkeiten, konnte meine Emotionen nicht mehr gut regulieren und verlor das Gefühl für meine Grenzen. Doch: Mein Körper setzte mir diese Grenze nicht. Die körperliche Schwere, die sich sonst immer in jeder Zelle meines Körpers bemerkbar machte, blieb aus. Und so zog ich mich mangels des mir doch so bekannten Warnsignals nicht raus, obwohl doch irgendwas gehörig schief zu laufen schien.

Erst als es mir dämmerte, dass das mit meinem ADHS-Medikament zu tun haben könnte und die Einnahme aussetzte, spürte ich die Erschöpfung auch eindeutig körperlich. Seitdem pausiere ich die Einnahme meiner Medikamente, versuche mein Nervensystem duch Struktur und Gewohnheiten nach und nach herunterzufahren und auch aktiv durch alle mir bekannten Techniken wie Meditation, Hypnose und Yoga zu beeinflussen. Doch es dauert, bis sich alles wieder normalisiert.

Ein Nervensystem in Alarmbereitschaft

Ein Nervensystem, das monatelang im Alarmzustand war, lässt sich nicht in ein paar Tagen wieder in seinen eigentlichen Normalzustand herunterregulieren. Zumindest klappt es nicht bei mir. Mein Gefühl ist, dass nur die Wiederholung von Alltag, inklusive seinen wiederkehrenden Routinen und Strukturen, wirklich für das Gefühl von Sicherheit in mir sorgt. Und mir erlaubt, die angestauten Anspannungen nach und nach loszulassen und mich tatsächlich wieder erholen zu können. Und das mache ich jetzt auch.

Natürlich gibt es Fort- und Rückschritte. Positiv ist, dass die neuen Strukturen jetzt stehen. Dass sie verlässlich funktionieren und uns als Familie noch viel mehr Entfaltungsmöglichkeiten geben als die alten Strukturen, die zuvor da waren. Negativ ist, dass immer auch unvorhergesehene Dinge passieren kann. Beispielsweise Krankheiten, Schwierigkeiten in Beziehungen, Enttäuschungen darüber, dass Dinge anders laufen, als man erwartet oder gehofft hat. Aber auch solche Veränderungen sind nun mal Teil des Lebens. Je stabiler und sicherer man sich fühlt, umso besser kann man mit diesen umgehen.

Fokus auf Stabilität

Deshalb fokussiere ich mich aktuell auf das, was mir jetzt diese Sicherheit gibt. Schaffe mir auch überall meine eigenen Strukturen, Rhythmen und Routinen. Feiere jeden Moment, der sich wieder nach Normalität und Alltag anfühlt. In dem Wissen, dass mir das auf lange Sicht wieder Freiheiten ermöglichen wird, von denen ich in der ersten Hälfte dieses Jahres schon ansatzweise spüren konnte, wie gewaltig schön, empowernd und kraftvoll sie sind.

Falls ihr noch einen persönlicheren Einblick in mein drittes Burnout bekommen möchtet,
könnt ihr euch gerne mein aktuellstes Video (Stand Oktober 2023) ansehen.

So, das wars mit diesem Artikel. Danke fürs Lesen, wenn ihr es bis hierhin geschafft habt.

Wie geht es euch mit diesem Thema? Seid ihr selbst neurodivergent und habt schon ähnliches erlebt? Schreibt es mir gern in die Kommentare. Ich freue mich von euch zu hören und wünsche euch alles Liebe.

Eure Magdalena

Ehhh Magdalena

Ehhh Magdalena

Bloggerin / Content Creator

Hi, ich bin Magdalena. Ich bin Blogautorin und setze mich hier auf meinem Blog sowie auf YouTube und Instagram mit dem Thema Neurodiversität (insbesondere Autismus und ADHS) auseinander. Ihr bekommt von mir Einblicke in mein Leben als spät diagnostizierte AuDHSlerin und Mutter eines autistischen und eines neurotypischen Kindes. Außerdem gebe Tipps, die sich für mich bewährt haben. Auch Kenntnisse aus meinen Ausbildungen (insbesondere Coaching und Hypnose) fließen in meine Inhalte mit ein.

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